„Wir sind noch nicht im Krieg, aber auch nicht mehr im Frieden“

Nachricht Lüdingworth, 14. Mai 2025

Es war keine leichte Kost, die Militärpfarrerin Dr. Katja Bruns den Mitgliedern der Kirchenkreiskonferenz da in Lüdingworth präsentierte. Von "(Militär-)Seelsorge in der Zeitenwende" sollte die Rede sein. Und davon, was auch auf Pastorinnen und Pastoren im Kirchenkreis Cuxhaven-Hadeln zukommen könnte, falls Russland die NATO - militärisches Bündnis europäischer und nordamerikanischer Staaten – irgendwann doch angreifen sollte.

Eine Führung durch die Lüdingworther Kirche zum Auftakt

Dabei hatte die Kirchenkreiskonferenz ganz entspannt begonnen. Pastorin Astrid Friedrichs, an diesem Vormittag Hausherrin in Lüdingworth, stellte den Kolleginnen und Kollegen „ihre“ St. Jacobi-Kirche vor - neben Altenbruch und Otterndorf der bekannteste und wohl schönste der drei „Bauerndome“ im Kirchenkreis. Weil der Feldsteinbau seit jeher eine Station auf dem Pilgerweg nach Santiago de Compostela ist, rüstete Friedrichs die stellvertretende Superintendentin Dr. Sabine Manow im Altarraum zu Anschauungszwecken mit den notwendigen Utensilien für einen „richtigen“ Pilger aus – und ließ nebenher noch so manches wissenswerte Detail über das hochgewölbte Gotteshaus einfließen.  

Militärpfarrerin stellt Operationsplan Deutschland vor

Nach dem ersten Kaffee im Gemeindehaus stieg Pastorin Martina Weber in die Tagesordnung der Kirchenkreiskonferenz ein. Nach Abhandlung der üblichen Regularien begrüßte die Kirchenfrau aus St. Petri in Cuxhaven den einzigen Gast an diesem Vormittag: Dr. Katja Bruns. Die Militärpfarrerin, geboren und aufgewachsen in der Nordheide und zuständig für die Marineflieger am Stützpunkt Nordholz, stellte Teile des Operationsplans Deutschland der Bundeswehr vor – eine umfassende Rahmenrichtlinie für die Gesamtverteidigung des Landes, die als Reaktion auf die sich zuspitzende Weltlage entwickelt worden ist.

Damit meinte die Geistliche nicht nur den aktuellen russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, sondern auch zunehmende Cyber-Angriffe auf verteidigungswichtige Infrastruktur sowie die vermehrte Ausspähung militärischer und geheimdienstlicher Einrichtungen sowie hybride Akte von Sabotage, die nach Ansicht von Experten ebenfalls Russland und befreundeten Staaten zugeordnet werden könnten.  „Wir haben alle bemerkt, dass sich die Zahl der Überflüge beispielsweise von Drohnen über Nordholz und Bremerhaven erhöht hat“, sagte Bruns, ohne weitere Details zu nennen.

„Es würde sich eine Menge ändern – für uns und für die Gesellschaft"

Im Falle eines Falles, so sieht es jedenfalls der Operationsplan Deutschland vor, sei die Evangelische Kirche Deutschland und letztlich auch der Kirchenkreis Cuxhaven-Hadeln mit seinem geistlichen Personal als wichtige Stütze gefordert. „Es würde sich eine Menge ändern – für uns und für die gesamte Gesellschaft“, erklärte Bruns und führte weiter aus, dass es dann nicht nur um die rasche Mobilisierung von geistlichem Personal ginge, sondern auch um die Erstversorgung von Verwundeten, um die Notfall- und Gesundheitsvorsorge, das Kriegsgefangenen- und Gefallenenwesen und – nicht zuletzt - um die psychosoziale Notfallversorgung und die weitere Betreuung von Hinterbliebenen.  „Da werden wir ganz dringend auf Amtshilfe angewiesen sein“, zeichnete die Militärpfarrerin potenzielle Anforderungen auf. 

Konkrete Reaktionspläne für alle Aspekte einer militärischen Lage

Derzeit werde in der Bundesregierung intensiv daran gearbeitet, mögliche nationale Kriegslagen und konkrete Reaktionspläne für alle Aspekte einer solchen militärischen Lage im Detail zu erstellen. Auch die Militärseelsorge sei beauftragt worden, ein Konzept für den Fall eines Krieges zu konzipieren, um eine dezentrale Weiterarbeit und eine Vernetzung notwendiger Einrichtungen zu ermöglichen.

Die Auswirkungen auf Militärseelsorge und zivile Kirche seien dabei nur schwer abzuschätzen, meinte Bruns und reagierte damit auf entsprechende Nachfragen aus der Kirchenkreiskonferenz. Doch angesichts von deutschlandweit rund 100 evangelischen, knapp 60 katholischen Militärseelsorgenden und circa 10 jüdischen Militär-Rabbinern sowie etwa gleich vielen Pfarrhelferinnen und Militärseelsorge-Assistierenden, die einzelnen Truppenverbänden zugordnet werden würden, sei recht schnell erkennbar, dass die personelle Lage dann überaus angespannt wäre. 

Vernetzung von Militärseelsorge und ziviler Kirche im Blick

Im Kern ginge es jetzt um die Vernetzung von Militärseelsorge und ziviler Kirche, um die Ausarbeitung von Plänen für Großschadenslagen, um die Vernetzung von Leitstellen, um die Fortbildung von Mitarbeiten und Ehrenamtlichen sowie um die Sicherstellung von Kommunikationswegen bei Ausfall der üblichen Kommunikationsmittel, blickte Bruns voraus auf das weite Feld noch zu erledigender Arbeiten. „Wir sind noch nicht im Krieg, aber auch nicht mehr im Frieden.“

Andreas Schoener, Referent für Öffentlichkeitsarbeit im Kirchenkreis Cuxhaven-Hadeln