Altenbruch: Wenn der "Kirchenwächter" mal ins Gefängnis muss

Nachricht Altenbruch, 08. April 2025

Eine Schatzkiste zum Stöbern und Staunen - Gerlind Jackowski, Bernhard Keck und Christoph Schröter haben die Kirche von St. Nicolai ganz fest ins Herz geschlossen. Ab sofort führen sie wieder Besucher durchs Altenbrucher Gotteshaus. Sie wollen vor allem begeistern für Geschichte hinter dicken Mauern. Dass die drei auch Geschichten erzählen können, verleiht ihren Rundgängen zusätzlichen Reiz.

In ehrenamtlicher Mission stundenlang für Besucher da

Mit dem Monat April beginnt in vielen Kirchengemeinden zwischen Cuxhaven und Hechthausen wieder die Saison der "Kirchenwächter". In ehrenamtlicher Mission stehen zumeist ältere Damen und Herren bis zum Herbst viele Stunden lang in der Woche bereit und begrüßen Gäste aus nah und fern, wenn diese die Pforte durchschreiten. 

Manfred Henze ist in St. Nicolai der Erste in diesem Jahr. Mit seiner Lebensgefährtin aus Lüdingworth will er sich mal umsehen in der tonnengewölbten Entdeckerkirche, deren Vielfalt auch per App auf dem Smartphone erkundet werden kann.
Der Premierengast aus Göttingen ist jedoch analog unterwegs. "Eindrucksvoll", sagt er, als ihn Bernhard Keck mit einem freundlichen Lächeln in Empfang nimmt und herumführt durchs lichterfüllte Gotteshaus. Ein Ausflug mit erbaulichem Tiefgang.

"Ich vemittle gerne Wissenswertes rund ums altehrwürdige Gebäude"

"Viele Besucher sind überrascht von der Schönheit unserer Kirche und von den seltenen Ausstellungsstücken", weiß der "Kirchenwächter". Seit 2022 hat er dieses kommunikative Ehrenamt inne. „Ich vermittle gerne Wissenswertes rund ums altehrwürdige Gebäude und dessen Innenleben“, sagt der 70-Jährige und verweist unter anderem auf das „Gefängnis“ hinterm holzgeschnitzten Altar. Den vergitterten Verschlag konnten Bösewichte seinerzeit vorübergehend mit ihrer Zelle tauschen, um den Gottesdiensten beizuwohnen.  „Das war doch christlich.“

Eva mit angebissenem Apfel in der Vorhölle

Aber Bernhard Keck ist noch nicht am Ende. „Schauen Sie mal auf den oberen Bereich des rechten Altarflügels“, sagt er begeistert, „da ist Christus zu sehen, wie er in der Vorhölle auf Eva trifft, die noch den angebissenen verbotenen Apfel aus dem Paradies in Händen hält.“ Wer ein wenig Zeit mitbringt, der wird feststellen, dass die Entdeckerkirche ihrem Namen in jedem Winkel alle Ehre macht.

Gerlind Jackowski – sie ist seit neun Jahren in St. Nicolai aktiv – will als überzeugte Christin „den Menschen die Kirche wieder näherbringen“.  Sie habe große Freude daran, wenn sich Besucher – in der Regel Urlauber - von der Atmosphäre im Inneren des Gebäudes einfangen ließen und zur Ruhe kämen, erzählt die 81-Jährige. 

Mit geschlossenen Augen ganz still in der Kirchenbank

Dabei ist der rührigen "Kirchenwächterin" eine Dame aus dem Ruhrgebiet lebhaft in Erinnerung geblieben. „Die Frau saß mit geschlossenen Augen in der Bank und lauschte lange den Orgelklängen der Entdeckerkirchen-App.“  Ganz still. Beinahe andächtig. „Mir ist es wichtig, dass solche Momente bei Kirchenbesuchen möglich sind“, sagt Jackowski.

Sichtbare Einzelpfeifen mit Eiweiß von Enteneiern foliiert

Christoph Schröter, mit 88 Jahren ältester "Kirchenwächter" im zwölfköpfigen Team von St. Nicolai, ist auch an diesem Nachmittag mit von der Partie. Über die Orgel - 1730 von Johann Hinrich Klapmeyer erbaut - wisse er ganz viel zu erzählen. „Mein Vater war zuletzt Organist in Bützfleth, drüben im Landkreis Stade“, lässt Schröter wie beiläufig fallen. Deshalb habe er einiges an Fachwissen mitbekommen. „Oder wussten Sie, dass die sichtbaren Einzelpfeifen seinerzeit noch mit dem Eiweiß von Enteneiern foliiert worden sind?“ 

Als ehemaliger Pädagoge von der "Lehrerkrankheit" befallen

Schröter ist "Kirchenwächter" mit Leib und Seele, gehört auf diese Weise gern zur Gemeinschaft. Außerdem gibt er - mit einem Augenzwinkern - gerne zu, „dass ich als ehemaliger Pädagoge von der ,Lehrerkrankheit‘ befallen bin und den Leuten alles erklären möchte, was ich über die Kirche weiß“. Spricht’s, schmunzelt und macht sich auf zum bronzenen Taufkessel aus dem frühen 14. Jahrhundert – dem ältesten Ausstellungsstück. „Früher wurde das Wasser hier mit Feuerholz erwärmt, damit die Täuflinge nicht erschraken“, sagt Schröter. 

Spiegelverkehrte lateinische Buchstaben am Beckenrand

„Wer in diesem Brunnen getauft wird, wird gereinigt“, steht in lateinischen Lettern spiegelverkehrt auf dem Rand zu lesen. Derlei „Reinigungen“ gibt’s heutzutage nur noch mit Wasser aus dem Taufbecken – wohltemperiert und behutsam dosiert.

Vorbei geht’s an diesem Nachmittag an vielen Sehenswürdigkeiten, auch an der hölzernen Beichtkammer, die da in der Südwestecke des Chores steht. „Bis etwa 1840 war im Land Hadeln noch die Einzelbeichte üblich“, weiß Bernhard Keck zu berichten. Doch diese Zeiten sind vorbei.
Heute wird dieser kleine Raum als Sakristei genutzt. „Hier kann sich der Pastor in aller Seelenruhe umziehen und auf seinen Gottesdienst vorbereiten.“

Nach beeindruckendem Rundgang geht's erst einmal an die Sonne

Auf dem Rückweg ihrer Runde begegnen die drei "Kirchenwächter" wieder dem Premierengast aus Göttingen. Manfred Henz zeigt sich schwer beeindruckt von dem, was er in St. Nicolai gesehen, gehört und gelesen hat.
Nach so viel Kirchenkultur geht’s erstmal hinaus ins Freie, um mit der Lebensgefährtin die Sonne zu genießen. Die drei Kirchenwächter bleiben zurück. Der nächste Besucher kommt bestimmt. Bernhard Keck: „Wir freuen uns drauf.“

Andreas Schoener, Referent für Öffentlichkeitsarbeit im Kirchenkreis Cuxhaven-Hadeln

Weitere "Wächter" - eine kleine Auswahl

  • St. Nicolai Altenbruch: Bis zum 31. Oktober ist die Kirche von St. Nicolai ab sofort wieder geöffnet. Und zwar dienstags bis sonntags jeweils von 10 bis 18 Uhr. Die "Kirchenwächter" sind meistens von 14.30 bis 16.30 Uhr vor Ort. Infos gibt es im Kirchenbüro unter Telefon 04722 2514 oder per Mail an: KG.Altenbruch@evlka.de.
  • St. Gertrud Cuxhaven: Die Saison beginnt am Montag, 14. April. Die  "Kirchenwächter" halten die Kirche dann am Montag, Dienstag und Freitag von 10 bis12 Uhr sowie am Mittwoch und Donnerstag von 16 bis 18 Uhr geöffnet. Wenn eine Veranstaltung (Orgelkonzert am 25. April) oder eine Beerdigung ansteht, kann die Kirche nicht besichtigt werden. An Feiertagen - zu denen auch  Gründonnerstag gehört - ist ebenfalls keine Kirchenbesichtigung möglich.
  • St. Petri Cuxhaven: Ab Ostern gibt es auch hier wieder die "Offene Kirche", in der Regel montags bis freitags von 10 bis 15 Uhr. Pastorin Martina Weber will einen Kreis von "Kirchenwächtern" aufbauen und sucht deshalb Ehrenamtliche. Sie ist erreichbar unter Telefon 04721 37626 oder per Mail: martina.weber@evlka.de.
  • Urlauberkapelle Duhnen: In der Urlauberkapelle gibt es keine "Kirchenwächter". Sie ist aber 365 Tage im Jahr täglich geöffnet, mindestens von 10 bis 16 Uhr.
  • Martinsgemeinde Ritzebüttel: Keine "Kirchenwächter" am Start, dafür ist das Gotteshaus ganzjährig geöffnet: montags bis freitags von 10 bis 16 Uhr sowie samstags von 10 bis 14 Uhr (außer bei Trauerfeiern, Andachten und Fleckenmarkt).
  • St. Abundus Groden: "Kirchenwächter" gibt es hier nicht, dafür aber die "Offene Kirche". Und zwar vom 1. Mai bis 30. Oktober, montags bis freitags, jeweils von 10 bis 15.30 Uhr. Ein Faltblatt mit Infos über die Kirche liegt aus.
  • St. Wilhadi Ihlienworth: Die Kirche kann ab Freitag, 11. April, bis Ende Oktober von Gästen besucht werden. Sie ist immer an den Tagen des Landfrauenmarktes in Ihlienworth geöffnet, also jedes zweite Wochenende im Monat. Die "Kirchenwächter" - insgesamt gibt es in St. Wilhadi 15 Kräfte für dieses Ehrenamt - sind freitags von 13 bis 17.30 Uhr und samstags von 11 bis 16 Uhr vor Ort.
  • St. Jacobi Lüdingworth hat auch keine "Kirchenwächter". Das Gotteshaus ist wieder bis zum 31. Oktober geöffnet. Besucher sind täglich von 9 bis 17 Uhr willkommen. Eine Premiere gibt es auch: Von April - in diesem Jahr erstmalig am 24. April - bis Oktober finden donnerstags von 11 bis 12.30 Uhr Kirchenführungen statt. An anderen Tagen sind Führungen nach Absprache mit dem Küster möglich. Infos donnerstags von 10 bis 12 Uhr unter 04724 1770.
  • St. Severi Otterndorf: Dank der rund 20 Kirchenwächter ist die Kirche ab sofort bis Ende Oktober wieder für interessierte Besucher geöffnet: montags bis samstags, jeweils in der Zeit von 10.30 bis 12.30 Uhr, und nachmittags von 15 bis 17 Uhr. Ausgenommen sind Feiertage sowie kirchliche Veranstaltungen, bei denen die Kirche nicht zur Besichtigung geöffnet ist.